Die schlimmstmögliche Wendung

Stell dir vor, du willst einen neuen Roman beginnen. Du hast bereits deinen Protagonisten gefunden und denkst darüber nach, was am Anfang passieren kann, um ihn aus seiner Familie zu reißen, um ihn zu traumatisieren, um seinem Leben die schlimmstmögliche Wendung zu geben.

 

Du lässt ihn einen engen Draht zu seiner Familie haben. Er lebt mit Eltern und Geschwistern zusammen, hat eine gute Bindung zu ihnen. Bis der Feind kommt, sein Dorf überfällt, alle Bewohner, die Familie deines Protagonisten und ihn selbst auf einem Platz zusammentreibt. Sie suchen einige Kinder heraus, die hübschesten, die mit den wachen Augen und schieben sie auf eine Seite des Platzes. Dann ziehen sie ihre Klingen und metzeln alle anderen nieder. Das ganze Dorf. Die Familie deines Protagonisten, seine Eltern, seine Geschwister. Er ist nur ein kleines Stück entfernt, hört ihre Todesschreie und riecht ihr Blut.

 

Das ist keine Fiktion.

 

Das ist eine wahre Geschichte.

Jahr für Jahr werden in Taiji, Japan, hunderte Delfine grausam ermordet. Berühmt geworden ist dieses Massaker durch den Film "The Cove" (Die Bucht) von Ric O'Barry, der Begründer der Organisation "The Dolphin Project". Nicht abgeschlachtete Delfine werden ausgesondert und an Delfinarien weltweit verkauft. Ironisch, dass diese Delfine, die Schlimmstes erlebt haben, anschließend zu hipper Musik lustige Kunststücke aufführen, die den Zuschauer glauben lassen, das Leben sei ein fröhlicher Spaß, nicht wahr?

 

Für diese Perversität der Menschen fehlen mir die Worte.

Stimmlos

Vor wenigen Tagen kam der Film heraus, der diesen Tieren, insbesondere Orcas in Gefangenschaft, eine Stimme geben möchte: Voiceless von Katie Emmons (Blue Freedom). Heute Morgen habe ich ihn angesehen und wurde erneut von der Thematik verschlungen. Diese prächtigen Wesen, die die Wellen wie keine zweiten reiten können, eingesperrt in Bunker. Sie vollführen lächerliche Kunststücke wie dressierte Hunde - aber sobald die Besucher den Park verlassen, liegen sie an der Wasseroberfläche wie tote Fische.

 

Was bist du, Mensch? Was bist du nur geworden?

 

Ihre Namen sind wie Denkmäler. Keiko, der "Free Willy". Tilikum, der Mörder. Shamu. Als sie in dieser Zelle ein Kalb gebar, nahm man es ihr, um es an einen anderen Park zu verkaufen. Stundenlang hing sie an einer Stelle und weinte und weinte. Was mag sie über die Menschen denken? Es muss ein Spiel für uns sein, den Orcas jedes Stück Lebenssinn zu nehmen. Ein perverses Spiel.

 

Was bist du, Mensch?

Es ist ein Thema, das mich nicht loslässt. Schon "Free Willy" hat mich als Kind in einem Maße berührt wie nur wenige andere Filme. Durch den Filmerfolg hatte der Hauptdarsteller Keiko zumindest die große Zahl an Fans hinter sich, die sich für seine Befreiung einsetzten, sodass er letzten Endes zurück in den Ozean kehren konnte.

Viele andere Orcas warten noch auf diese Chance.

Tilikum wurde als etwa zweijähriges Kalb aus seiner Familie in der Nähe von Island gerissen. Den Großteil seines Lebens verbrachte er in den Erlebnisparks SeaWorld, wo er in drei tödliche "Unfälle" mit Menschen verwickelt war. Inzwischen ist er ungefähr 35 Jahre alt, laut einer Mitteilung von SeaWorld im März 2016 geht es mit seiner Gesundheit bergab. Das sei altersbedingt, denn SeaWorld zufolge werden Orcas nicht viel älter.

In Gefangenschaft mag das stimmen. Es wird allerdings davon ausgegangen, dass sie in Freiheit auch doppelt so alt werden können. Bei Weibchen wurden bereits 80 bis 90 Jahre nachgewiesen. Man bedenke außerdem, dass ein Orca mit 25 erst ausgewachsen ist.

Wer hilft? Was kann getan werden?

Die zwei Organisationen, die in meinen Augen diesbezüglich am meisten erreicht haben, sind Ric O'Barrys Dolphin Projekt sowie Katie Emmons Blue Freedom.

 

Zusätzlich findet eine Unterschriftenaktion zur Befreiung Tilikums sowie der Befreiung von Disneys Delfinen statt.

 

 

 

Gleichzeitig beginnt auf Taiji im September wieder die sechsmonatige Jagdsaison. 1820 Delfine sind dieses Jahr zum Abschuss freigegeben. 150 Delfine wurden für Marineparks vorverkauft. Erneut wird in diesem Jahr eine Geschichte geschrieben, deren Grausamkeit nach Fiktion klingt. Aber sie ist real.

Nachtrag

Am 6. Januar 2017 hat Seeworld bekanntgegeben, dass der Orca Tilikum im Alter von nur 36 Jahren starb. Grund sei eine bakterielle Infektion der Lunge. Bereits 10 Monate vorher hatte sich sein Gesundheitszustand verschlechtert.

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