Blogparade: Wie man fesselnde Dialoge schreibt

Der Dialog ist ein breiteres Feld als viele glauben. Er besteht aus zwei großen Teilen, bei denen jeweils Unterschiedliches beachtet werden muss: Die wörtliche Rede und das ganze Drumherum (Inquit, Handlung).

 

Gerade weil das Feld so groß ist, kann und möchte ich nicht auf alles eingehen, sondern mich in erster Linie auf die wörtliche Rede an sich konzentrieren.

Dabei kann man die Dialogpartner in zwei Bereiche aufteilen: Auf der einen Seite steht der Sprecher, auf der anderen Seite der Zuhörer.

Der Sprecher

Worauf müssen wir achten, wenn wir einen Charakter sprechen lassen? Wie verleihen wir einem Dialog Dichte und Spannung?

Genau genommen gibt es drei Inhalte, die man beim Sprechen abdecken kann (und sollte):

  • Information
    Welche Information gibt der Sprecher?
  • Emotion
    Welche Gefühle stecken hinter seinen Worten?
  • Beziehung
    In welcher Beziehung steht er zum Zuhörer bzw. Dialogpartner?

Je mehr dieser Bereiche abgedeckt werden, desto lebendiger wird der Dialog. Wichtig daran ist, dass die Spannung in Dialogen häufig nicht durch das direkte Gesagte zustande kommt, sondern durch das, was nicht gesagt wird. Also jene Dinge, die hinter den Worten stehen und die der Leser größtenteils bereits an Wissen mitbringt.

 

Ich erkläre das anhand eines Beispiels aus einem meiner Romane.

 

Listh erklärt Aesa, dass Wölfe ihren Lebenspartner finden, indem sie sich von ihrem Gefühl leiten lassen. Im Folgenden geht es ausschließlich um Aesas Worte.

 

Listh: "Wölfe gehen in der Beziehung ihre eigenen Wege und das ist gut so. Nur sie alleine werden den Richtigen finden."

Aesa: "Eine Partnerschaft der Liebe."

 

Dieser Dialog klingt so wie er da steht ziemlich banal. Das liegt daran, dass ein Leser, der den Roman nicht kennt, erst einmal nur eine Information erhält: Die Wölfe, über die gesprochen wird, suchen sich ihren Partner nach ihrem eigenen Gefühl (Liebe) aus.

Der Informationsgehalt allein macht einen Dialog fad und trocken.

 

Wenn ich nun eine weitere Anhaltspunkt gebe - nämlich dass sich Listh und Aesa gerade auf einer Zwangshochzeit befinden, verändert sich Aesas Aussage im Sinn ein wenig:

 

 

Aesa: "Eine Partnerschaft der Liebe."

 

Es findet eine leichte Kritik an den aktuellen Umständen statt, man kann ein Gefühl von Bewunderung herauslesen. Der Dialog gewinnt ein wenig Tiefe.

Wirklich interessant wird es aber erst, wenn die Beziehung zwischen Listh und Aesa klar ist: Sie wurden kürzlich ebenfalls zwangsverheiratet.

 

Listh: "Wölfe gehen in der Beziehung ihre eigenen Wege und das ist gut so. Nur sie alleine werden den Richtigen finden."

Aesa: "Eine Partnerschaft der Liebe."

 

Nun steckt in Aesas Worten nicht länger ein Informationsgehalt, sondern eine weitere Emotion, die sich nur anhand der Beziehung bestimmen lässt. Sie ist verbittert, weil ihr solch eine Liebesheirat nicht vergönnt wurde.

Diese Emotion beschwört eine zwischenmenschliche Spannung herauf (Listh wird als Schuldiger ihres Unglücks indirekt angesprochen) und verdichtet den Dialog. Gleichzeitig tritt der Informationsgehalt (Wölfe gehen eine Partnerschaft aus Liebe ein) in den Hintergrund und wird unwichtig: Die Kern des Gesagten liegt auf der Metaebene des Dialogs (Aesa ist verbittert, weil sie zu einer Heirat mit Listh gezwungen wurde, anstatt einen Menschen zu ehelichen, den sie liebt).

 

 

Kommen wir zum zweiten Punkt: dem Zuhörer.

Der Zuhörer

In einem Dialog wird der Zuhörer natürlich auch zum Sprecher. Aus welchem Grund also die Unterteilung?

Zwei Dinge halten einen Dialog am Leben: Die treffenden Worte des Sprechers, die ich oben erklärt habe, sowie die Reaktion des Zuhörers, der daraufhin etwas erwidert.

 

In der Kommunikationsforschung spricht man davon, dass der Zuhörer vier verschiedene Möglichkeiten hat, um zu reagieren. Man nennt diese Möglichkeiten "Ohr". Es gibt folgende Ohren:

  • Sachverhaltsohr
    Welchen Informationsgehalt höre ich?
  • Beziehungsohr
    In welcher Beziehung stehe ich zu meinem Gegenüber?
  • Selbstoffenbarungsohr
    Was gibt mein Gegenüber über sich preis?
  • Apellohr
    Was will mein Gegenüber von mir?

Wie man sieht, stimmen einige dieser Ohren mit den Punkten überein, auf die man achten soll, wenn man seinen Protagonist sprechen lässt (Information, Emotion bzw. Selbstoffenbarung, Beziehung). Klar, denn die Kommunikationsforschung ist schließlich bestrebt, Sprecher und Zuhörer auf einen gleichen Nenner zu bringen.

 

Der Zuhörer hat die Möglichkeit, aus dem Gesagten das herauszufiltern, was er hören möchte.

 

Bleiben wir bei unserem Beispiel. Listh hört Aesas Worte und hätte nun vier verschiedene Möglichkeiten, das Gesagte aufzufassen:

  • Er könnte den Informationsgehalt hören: Wölfe gehen eine Partnerschaft der Liebe ein. Da es im Prinzip das war, was er Aesa gerade erklärt hat, könnte er ihr also zustimmen.
    Durch obige Analyse haben wir allerdings herausgefunden, dass es Aesa gar nicht um die Wölfe ging. Wenn Listh ihr nun also sachlich Recht gibt, gewinnt der Dialog an Spannung, da er Aesa falsch versteht bzw. vielleicht sogar absichtlich das nicht hört, was er nicht hören möchte.
  • Listh könnte auch das Beziehungsohr verwenden und schlussfolgern in welcher Beziehung er mit Aesa in dieser Aussage steht: Sie beide wurden zwangsverheiratet und laut Aesa herrscht zwischen ihnen keine Liebe. Je nachdem wie Lisths Gefühle zu Aesa stehen, könnte ihn diese Erkenntnis tief treffen.
  • Wenn Listh mit dem Selbstoffenbarungsohr zuhört und sich fragt, was Aesa ihm mit diesem Satz über sich sagt, dann nimmt er ihre Verbitterung wahr und wie es Aesa zurzeit in ihrer Ehe geht. Da das Selbstoffenbarungsohr von Empathie zeugt, könnte er in diesem Fall gewillt sein, sich Aesas Probleme anzuhören und nach einem Lösungsweg zu suchen.
  • Die letzte Möglichkeit ist das Apellohr. Listh fragt sich, was Aesa mit dieser Aussage von ihm will. Soll er sich trennen? Welche Erwartungshaltung hat sie an ihn? Je nachdem welche Möglichkeiten offen stehen, kann er ihr andere Vorschläge unterbreiten.

Haben wir als Autor unsere Entscheidung getroffen, welche Reaktion am besten zu Listh passt, können wir an seiner Erwiderung arbeiten. Und die sollte - wie oben bereits beschrieben - ebenfalls eine Information bergen, eine Emotion im Subtext und die Bedeutung vervollständigen, wenn der Leser um die Beziehung der beiden Bescheid weiß.

Klassische Beispiele der Ohren

Ganz abhängig von der Persönlichkeit des Zuhörers können Missverständnisse passieren. Um nochmal die verschiedenen Ohren zu verdeutlichen, bringe ich hier ein paar Beispiele, in denen klassische Missverständnisse aus dem Alltag auftauchen:

 

Missverständnis anhand des Sachverhaltsohrs:

Sie: Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich müde.

Sie meint: Da möchte ich mich nicht mehr um den Haushalt kümmern müssen.

Er versteht: Die Arbeit ist zurzeit sehr anstrengend.

 

Missverständnis anhand des Beziehungsohrs:

Sie: Ich habe heute keine Lust auf Sex.

Sie meint: Ich bin müde.

Er versteht: Ich liebe dich nicht mehr.

 

Missverständnis anhand des Selbstoffenbarungsohrs:

Sie: Der Gartenzaun müsste mal gestrichen werden.

Sie meint: Die Farbe ist schon ziemlich abgeblättert.

Er versteht: Ich finde, Zaunstreichen ist keine Arbeit für Frauen.

 

Missverständnis anhand des Apellohrs:

Sie: Die Marmelade auf dem Tisch fehlt.

Sie meint: Die Marmelade ist nicht da.

Er versteht: Steh auf und hol die Marmelade.

 

Natürlichkeit

Ein letzter Punkt, den ich gerne ansprechen möchte, ist die Natürlichkeit von Dialogen. Nichts nimmt einem Dialog mehr Schwung als stocksteife Wortabfolgen. Dazu gehört die Natürlichkeit der Sätze und Wörter an sich. Kaum ein Mensch redet beispielsweise in kompliziertesten Nebensätzen. 

 

Weit wichtiger ist mir allerdings das Thema Direktheit. Zwischen den Dialogpartnern besteht immer eine direkte Linie - ihr Gesprochenes wird davon beeinflusst, wie sie zueinander stehen. Welche Beziehung herrscht vor, wie oft sehen sie sich, was wissen sie voneinander?

Niemals, wirklich niemals darf der Autor den Leser dazwischen schieben und die Worte des Sprechers so formen, dass sie erst den Leser überwinden müssen, um zum Zuhörer zu gelangen.

Beziehungsweise einfacher gesagt: Der Sprecher darf niemals etwas so formulieren, dass es für den Leser gedacht ist. Damit meine ich die klassischen Informationen, die über Dialoge vermittelt werden, damit der Leser weiß, wovon gesprochen wird.

 

Wenn das Ehepaar Maier beim Abendessen sitzt, dann wird Herr Maier niemals zu Frau Maier sagen: "Karl, unser Sohn, ist heute bei Annika." Als wüsste Frau Maier nicht, wie ihr Sohn heißt!

 

Etwas eleganter, aber in meinen Augen immer noch sehr störend empfand ich einen Dialog in Der Name des Windes von Patrick Rothfuss, einem Roman, den ich ansonsten wirklich sehr schätze. Dort heißt es in Kapitel 54:

 

"Du siehst irgendwie ... ruhig und gelassen aus", fuhr Simmon fort [...]. "Du siehst kräftiger aus." Er verzog das Gesicht. "Nein. Du siehst ... straff aus."

[...]

"Das liegt an seiner Körperhaltung", sagte Wilem und brach damit sein nachdenkliches Schweigen. "Er hält sich gerade, mit hoch erhobenem Kopf, die Schultern nach hinten." Er führte vor, was er damit meinte. "Und wenn er geht, berührt sein ganzer Fuß den Boden."

 

Auch dieser Dialog existiert offensichtlich nur, um dem Leser den Protagonisten zu beschreiben. Da es in der Ich-Perspektive aber denkbar schlecht klingen würde, wenn sich der Protagonist so detailliert beschreibt, hat der Autor zu diesem - in meinen Augen sehr billigen - Trick gegriffen und lässt die Freunde bewundernd davon reden.

Aber wie gesagt steht hier der Leser deutlich zwischen den Sprechern (Freunde) und ihrem Zuhörer (Protagonist), denn der Leser ist es, für den diese Dinge eigentlich erwähnt werden.

Fazit

Vieles klingt hier vielleicht sehr konstruiert und beschwerlich. Wenn man bei jedem Satz in einem Dialog erst einmal darüber nachsinnt, unter welchem Informationsgehalt man welche Emotion und welche Beziehung verschleiern möchte, und wenn man vor jeder Erwiderung erst sämtliche Ohren abarbeitet und überlegt, welches als bestes geeignet ist, so dauert das nicht nur lang, sondern nimmt dem Dialogschreiben auch jegliche Freude.

Daher sind diese Tipps hier nichts als Anregungen, um flache Dialoge zu vertiefen oder zu überlegen, wo man vielleicht den Finger anlegen muss, wenn man generell das Gefühl hat, keine guten Dialoge zu schreiben.

Das Wichtigste ist und bleibt in meinen Augen nämlich das intuitive Gespür, wann wer was sagt. Die Kunst ist dabei, sehr schnell zwischen den beiden Dialogpartnern hin und her zu springen, sich vollkommen in sie hineinzuversetzen und damit inhaltlich wie emotional logische Erwiderungen zu stricken.

Aber Arbeit und Mühe werden sich in jedem Fall lohnen. Denn im besten Fall kann ein Dialog einen Roman inhaltlich sehr aufwerten, da er wie kaum eine andere Methode Spannung zwischen Personen aufbauen kann.

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Kommentare: 8
  • #1

    Tsaphyre (Samstag, 02 April 2016 13:49)

    Eine sehr spannende und differenzierte Betrachtung des Themas. Die vier Ohren kannte ich noch nicht (ich dachte immer, ich hätte nur zwei Ohren ;-) ). Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, würde ich spontan sogar fünf Ohren finden. Der Zuhörer kann das Gesagte ja auch ganz allein auf sich beziehen. Aber das wird dann vermutlich als Unterohr des Beziehungsohrs betrachtet.

    Meine Güte, da hört man vor lauter Ohren ja die Musik nicht mehr. ;-)

  • #2

    Kelpie (Eichenkrone) (Samstag, 02 April 2016 17:19)

    Ein Selbstbeziehungsohr, sozusagen? :P Ich frag da mal meine Mutti, die arbeitet in dem Bereich und müsste doch eine Antwort darauf kennen :D

  • #3

    Tsaphyre (Samstag, 02 April 2016 19:15)

    Naja, ich habe mich mit dieser Kommunikationstheorie ja über Deinen Artikel hinaus noch nicht beschäftigt. Wahrscheinlich ist das fünfte Ohr völlig überflüssig. Ich meine, mit 4 Ohren kann man ja schon 5-dimensional hören, was will man denn noch mehr? ;P

    Ich hab mir gestern übrigens schon so schön zurechtgelegt, was ich über Deinen Blog schreiben will. Aber heute ist da so ein Trotzkopf in mir, der sich strikt weigert zu schreiben. Ich weiß nicht, wie lange der noch hier herumturnt, aber ich lasse ihm lieber seinen Freiraum, als ihn (also mich) zu irgendetwas zu zwingen. Macht ja auch keinen Sinn, oder? ;-)

  • #4

    Mandy (Sonntag, 03 April 2016 09:31)

    Ein sehr schöner Artikel :) Ich habe auf der Arbeit auch ab und zu mit dem 4 Ohren Modell zu tun, aber kam bisher noch nicht auf die Idee, es so differenziert auf die Dialogarbeit anzuwenden (warum eigentlich nicht? :D). Ich teile den Artikel heute Abend, Ich muss noch schnell zum Sport flitzen jetzt :)

  • #5

    Kelpie (Eichenkrone) (Sonntag, 03 April 2016 15:33)

    Tsaphyre und Mandy, macht euch keinen Stress. Ihr habt ja mindestens eine Woche Zeit :P

    Wegen des 5. Ohrs: Laut Profi-Mama (^^) gehört das zum Beziehungsohr. Da fällt einfach alles rein, was man mit sich in Beziehung setzt oder wo man den Sprecher mit sich in Beziehung setzt.
    5-dimensional hören gefällt mir xD (Ist aber nicht wirklich so, oder? *Wissenslücke*)

  • #6

    Sandra (Sonntag, 03 April 2016 16:13)

    Das ist wirklich ein sehr schöner und interessanter Beitrag. Diese Kommunikationstheorie hatten wir im ersten Semester mal, aber angewendet habe ich sie noch nie. Da werde ich doch bei nächste Gelegenheit mal nachsehen, wie viel ich davon unbewusst beim Schreiben benutzt habe =)
    Ich teile deinen Beitrag auch gleich. Muss mir noch eine schöne Einleitung überlegen :D

  • #7

    Tsaphyre (Sonntag, 03 April 2016 18:11)

    *hihi* Naja, ich dachte halt, wenn man mit 2 Ohren 3-dimensional hören kann, dann könnte man mit 4 Ohren vielleicht 5-dimensional hören. Bliebe noch zu klären, was das bedeuten soll. ;-)

    Ich schreibe gerade an meinem Artikel für Dich, weiß aber noch nicht, ob ich heute fertig werde. Ich muss diese Woche ja dann mein eigenes Thema aufrollen, also sollte ich mal langsam in die Puschen kommen. *schnarch*

  • #8

    Kelpie (Eichenkrone) (Sonntag, 03 April 2016 22:37)

    Wie ich sehe wart ihr beiden ja schon fleißig :D

    Sandra, wenn man solche Dinge unbewusst tut, ist es nochmal besser, da das ja zeigt, dass man die Theorie gar nicht braucht :)

    Tsaphyre, na keine Müdigkeit vortäuschen! Und Puschen klingt doch schon so verschlafen. Hier, nimm lieber dieses Paar beste äh ... Springer-Stiefel xD